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Angst – Die verdrängte Emotion

Autorenbild: Nathalie ZimmerNathalie Zimmer

Angst ist ein starkes Wort. Es löst bei vielen Menschen sofort Abwehrreaktionen aus. „Angst? Nein, das ist es nicht.“ Diese Reaktion ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Angst wird als Schwäche angesehen, als etwas, das nicht sein darf. Der Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman erklärt in seinem Buch „Flüchtige Moderne“, dass wir in einer „flüssigen“ Welt leben, in der Unsicherheit und Angst allgegenwärtig sind. Doch anstatt diese Unsicherheiten anzunehmen, tun wir so, als gäbe es sie nicht.





Im Arbeitskontext, wo Leistung, Stärke und Kontrolle oft als zentrale Werte gelten, wird Angst besonders verpönt. „Angst? Die habe ich nicht,“ sagen viele, obwohl Studien zeigen, dass Unsicherheit und innere Unruhe im Arbeitsalltag durchaus weit verbreitet sind. Eine Studie der American Psychological Association ergab, dass 70 % der Arbeitnehmenden regelmäßig stressbedingte Symptome erleben – und Angst ist oft ein Teil davon. Doch über diese Emotion wird nicht gesprochen.


Warum wir Angst nicht zulassen wollen


Angst wird oft als Schwäche interpretiert. Der Psychologe Daniel Goleman, bekannt für seine Arbeiten zur emotionalen Intelligenz, betont, dass die kulturelle Abneigung gegen das Thema Angst tief in unserem Bedürfnis verwurzelt ist, Kontrolle zu behalten. Angst wird als etwas betrachtet, das uns die Kontrolle nimmt, und Kontrolle ist in vielen Arbeits- und Lebensbereichen ein Statussymbol. Doch genau hier entsteht das Dilemma: Indem wir die Angst verdrängen, verlieren wir paradoxerweise die Fähigkeit, mit ihr umzugehen.


Unser kollektives Unbehagen gegenüber dem Wort „Angst“ führt dazu, dass wir die Realität der Emotion verschleiern. Anstatt zu sagen „Ich habe Angst“, verwenden wir andere Begriffe: „Ich bin unsicher“, „Ich bin skeptisch“, „Ich mache mir Sorgen“. Diese Wörter klingen weniger belastend, weniger bedrohlich. Doch im Kern drücken sie oft die gleiche emotionale Reaktion aus.


Angst als kulturelles Tabu


Warum ist es so schwer, über Angst zu sprechen? Die Antwort liegt in den kulturellen Normen, die uns umgeben. In westlichen Gesellschaften wird von uns erwartet, dass wir stark, erfolgreich und souverän sind. Schwäche, Unsicherheit oder Angst passen nicht in dieses Ideal. Die Soziologin Brené Brown beschreibt in ihrem Buch „Verletzlichkeit macht stark“, dass der Mut, über unsere Verletzlichkeiten zu sprechen – einschließlich Angst – als Schwäche abgetan wird, obwohl es in Wahrheit eine der größten Stärken ist. „Angst zu fühlen bedeutet nicht, dass wir scheitern. Angst zu fühlen bedeutet, dass wir menschlich sind“, schreibt Brown.


Doch im beruflichen Umfeld wird Verletzlichkeit oft als Zeichen von Inkompetenz interpretiert. Führungskräfte sollen Stärke und Zuversicht ausstrahlen, Mitarbeitende sollen produktiv und belastbar sein. In diesem Kontext hat Angst keinen Platz, obwohl sie unvermeidbar ist. Dies führt zu einem Teufelskreis der Verdrängung: Angst darf nicht sein, also wird sie nicht anerkannt, was wiederum dazu führt, dass wir keinen gesunden Umgang mit ihr entwickeln.


Die Folgen der Verdrängung von Angst


Das Verdrängen von Angst hat weitreichende Konsequenzen – sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Der Psychologe und Bestsellerautor Robert Greene schreibt in seinem Buch „The Laws of Human Nature“, dass der Versuch, Angst zu ignorieren oder zu verleugnen, zu einem ständigen inneren Kampf führt. „Je mehr wir versuchen, unsere Angst zu unterdrücken, desto mehr wird sie uns kontrollieren.“ Greene beschreibt, dass Menschen, die Angst ignorieren, oft unbewusst Entscheidungen treffen, die von dieser Angst geprägt sind – sei es durch Vermeidung, Überkompensation oder das Festhalten an alten Gewohnheiten.


Im beruflichen Umfeld kann dies zu einer Kultur der Angst führen, die Innovationen hemmt, Kreativität blockiert und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden beeinträchtigt. Eine Studie des Forschungsinstituts Gallup ergab, dass Unternehmen, die eine Kultur der Offenheit und emotionalen Intelligenz fördern, produktiver und erfolgreicher sind. Das Eingeständnis, dass Angst ein Teil des Arbeitslebens ist, kann den Unterschied zwischen stagnierenden und florierenden Organisationen ausmachen.


Wie wir lernen können, über Angst zu sprechen


Der erste Schritt, um das Tabu der Angst zu brechen, besteht darin, anzuerkennen, dass Angst eine unvermeidbare Emotion ist. Anstatt Angst als Schwäche zu betrachten, sollten wir sie als Teil unseres emotionalen Spektrums akzeptieren. Indem wir Angst verdrängen, verschlimmern wir das Problem. Nur wenn wir sie anerkennen, können wir lernen, mit ihr umzugehen.


Im Arbeitskontext bedeutet das, eine Kultur zu schaffen, in der Emotionen offen thematisiert werden können. Führungskräfte sollten den Mut haben, über ihre eigenen Ängste zu sprechen, um den Mitarbeitenden zu zeigen, dass es in Ordnung ist, menschlich zu sein. Nur so können wir das Stigma um das Thema Angst aufbrechen und gesunde, produktive Arbeitsumgebungen schaffen.


Fazit: Angst darf sein


Angst ist kein Zeichen von Schwäche, sondern eine grundlegende menschliche Emotion, die wir alle empfinden – egal, wie sehr wir versuchen, sie zu verdrängen. Die Tabuisierung von Angst, besonders im beruflichen Kontext, führt dazu, dass wir uns von unserer eigenen Menschlichkeit entfremden. Doch erst wenn wir anfangen, über Angst zu sprechen und sie als natürlichen Teil des Lebens akzeptieren, können wir einen gesunden Umgang mit dieser Emotion entwickeln. Indem wir das Tabu der Angst brechen, öffnen wir die Tür zu mehr Offenheit, Vertrauen und letztlich auch zu mehr Erfolg.

 
 
 

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